Asylbewerber haben Anspruch auf medizinische Versorgung

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Die Übernahme der Kosten für Heilbehandlungen für Asylbewerber nach §§ 4, 6 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bereitet in der Praxis immer wieder Probleme und führt auch bei Leistungserbringern zu Rechtsunsicherheiten.

Insbesondere die Auslegung der Reichweite der §§ 4, 6 AsylbLG, wenn es um die Behandlung von nicht-akuten aber schwerwiegenden chronischen Erkrankungen der Asylbewerber geht, ist rechtlich umstritten.

So wird teilweise eine sehr restriktive Auslegung von § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG vertreten, wonach zur Sicherung der Gesundheit unerlässliche Leistungen für Asylbewerber nur gewährt werden können, wenn es sich um außergewöhnliche und atypische Bedarfsfälle handelt, was regelmäßig bei der Behandlung von chronischen Erkrankungen nicht der Fall sei (vgl. für Psychotherapie – SG Landshut, Urteil vom 24.11.2015 – S 11 AY 11/14 –).

Dieser sehr restriktiven Auffassung ist in einer überzeugend begründeten Entscheidung vom 11.07.2018 (- L a AY 9/18 B ER -) das Hessische Landessozialgericht entgegengetreten und hat im einstweiligen Rechtsschutzverfahren einem Asylbewerber einen Anspruch auf Behandlung seiner chronischen Hepatitis zugesprochen.

Nach richtiger Ansicht des Gerichts ist § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG verfassungskonform auszulegen. Nach der Vorschrift können sonstige Leistungen insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit der Asylbewerber unerlässlich sind. Wegen Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ist eine verfassungskonforme Auslegung aber dahin geboten, dass die Tatbestandsmerkmale der Unerlässlichkeit und der Sicherung der Gesundheit weit auszulegen sind, so dass nach Ansicht des Gericht ausreichend ist, dass eine Erforderlichkeit zur Sicherung der Gesundheit im Sinne eines Behandlungsbedarfs vorliegt, der über Bagatellerkrankungen hinausgeht. Geboten ist dann zumindest bei Personen, die sich nicht nur kurzzeitig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, die medizinische Versorgung mit allen erforderlichen Leistungen nach §§ 47 ff. SGB XII bzw. nach dem SGB V.

Die verfassungskonforme Auslegung der Norm ist nach Meinung des Gerichts aufgrund des Sinn und Zweck der Vorschrift als Auffangvorschrift und Öffnungsklausel erforderlich, um im Einzelfall dem Anspruch des Leistungsberechtigten auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums gerecht zu werden. Die weite Auslegung ist dabei auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes grundrechtlich geboten, die vom Gericht um Urteil umfassend dargestellt wird. Der unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG hervorgehende Leistungsanspruch auf Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums betrifft u.a. die physische Existenz des Menschen und erstreckt sich auf die Gewährung von Leistungen für die Gesundheit. Dabei erlaubt es die Verfassung nicht, das in Deutschland zu einem menschenwürdigen Leben Notwendige unter Hinweis auf das Existenzniveau des Herkunftslandes von Hilfebedürftigen oder auf das Existenzniveau in anderen Ländern niedriger als nach den hiesigen Lebensverhältnissen geboten festzulegen. Ausländische Staatsangehörige verlieren den Geltungsanspruch als soziale Individuen nicht dadurch, dass sie ihre Heimat verlassen und sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf Dauer aufhalten. Die einheitlich zu verstehende menschenwürdige Existenz muss daher ab Beginn des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland realisiert werden. Falls der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will, darf er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Eine Differenzierung ist nur möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden. Lassen sich tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und will der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe deshalb gesondert bestimmen, muss er sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasst, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhalten. Dies lässt sich zu Beginn des Aufenthalts nur anhand einer Prognose beurteilen.

Nach der überzeugenden Ansicht des Hessischen Landessozialgerichts ist grundsätzlich das nach dem SGB XII vom Gesetzgeber festgelegte hiesige Leistungsniveau der Hilfen bei Gesundheit der §§ 47 ff. SGB XII bzw. nach dem SGB V umfassend als Existenzminimum sicherzustellen, soweit der Gesetzgeber nicht nach den vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Grundsätzen Minderbedarfe festgestellt und leistungsrechtlich geregelt hat. Nach Auffassung des Gerichts hat der Gesetzgeber das niedrigere Leistungsniveau des § 4 AsylbLG gegenüber dem SGB XII nicht auf der Grundlage festgestellter Minderbedarfe im Sinne dieses verfassungsrechtlichen Maßstabs geregelt. Daher sind auch die Wertungen des § 4 Abs. 1 AsylbLG bei der Auslegung des § 6 Abs. 1 AsylbLG unbeachtlich. Ebenso unbeachtlich ist die Frage einer missbräuchlichen Beeinflussung der Aufenthaltsdauer, weil sich nicht zu Minderbedarfen führt. Daher kann über § 6 Abs. 1 AsylbLG das zum SGB XII und SGB V äquivalente Leistungsniveau dort hergestellt werden, wo keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen, dass der Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer bedürftiger Menschen in der Bundesrepublik Deutschland signifikant abweicht. Allerdings besteht ein Bedarf für eine verfassungskonforme Auslegung nicht, wenn bestimmte Bedarfe evident nicht bestehen. In diesen Fällen kann dann auch nicht von einer Unerlässlichkeit ausgegangen werden. Dies ist insbesondere bei Bagatellerkrankungen oder Erkrankungen bei Kurzaufenthalten der Fall, bei denen z.B. auch wegen der Kürze des Aufenthalts der Therapieerfolg nicht sicherzustellen ist. Insbesondere bei behandlungsbedürftigen chronischen Erkrankungen ist aber eine entsprechende weite Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG zumindest bei Personen geboten, die sich nicht nur kurzzeitig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten.

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