NIV-Beatmung und Entwöhnung – BSG zur Kodierung von Beatmungsstunden

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Die Codierung von Beatmungszeiten im Rahmen einer sog. nicht-invasiven Beatmung (NIV-Beatmung) mit Phasen der Spontanatmung während der Entwöhnung des Patienten von der maschinellen Beatmung (sog. Weaning) ist immer wieder ein Streitpunkt zwischen den Krankenhäusern und Krankenkassen. Besonders umstritten war die Frage, unter welchen Voraussetzungen die NIV-Beatmung mit Masken-Techniken und die teilweise vorhandene Spontanatmung des Patienten zu den vergütungsrelevanten Beatmungsstunden hinzuzählen waren. Eine neue Entscheidung des BSG bringt dazu leider wenig Sinnvolles (BSG, Urteil 19.12.2017 – B 1 KR 18/17 R –).

In den dazu vorliegenden Deutschen Kodierrichtlinien 1001h (DKR-2011) war fixiert, dass diese Beatmungsstunden inklusive beatmungsfreier Intervalle nur während der jeweiligen Entwöhnung des Patienten von der maschinellen Beatmung bei der Berechnung der Beatmungsdauer eines Patienten hinzugezählt werden.

Eine Definition des Begriffs der Entwöhnung als Voraussetzung für die Berücksichtigung der Beatmungszeiten enthalten die DKR 1001h allerdings nicht. Nach dem insoweit maßgeblichen medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauch wird mit dem sog. Weaning die Entwöhnungsphase eines beatmeten Patienten vom Respirator mit Übergang von der maschinellen Beatmung zur Spontanatmung verstanden.

An dieser Definition ansetzend haben mehrere Gerichte angenommen, dass spezielle Anforderungen an die Entwöhnung im Sinne eines strukturierten Prozesses mit systematisch kürzer werdenden Beatmungsintervallen oder Absenkung des Drucks der Beatmung nicht erforderlich seien. Es beständen auch keine Festlegungen zu der Frage, wann eine Entwöhnung überhaupt beginnt und ob und ggf in welchem Maße zuvor eine Gewöhnung an die maschinelle Beatmung eingetreten sein muss. Diese Gerichte nahmen daher an, dass nach einer eng am Wortlaut erfolgenden Auslegung die Entwöhnung von der künstlichen Beatmung bereits mit deren Beginn beginnt, was auch damit begründet worden ist, dass eine strenge Trennung zwischen Beatmung zur Entwöhnung und notwendiger Beatmung infolge der Grunderkrankung medizinisch nur schwer möglich sei und eine NIV-Beatmung oft gerade eingesetzt wird, um eine zu starke Gewöhnung des Patienten an eine invasive Beatmung zu verhindern (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 05.12.2013 – L 1 KR 300/11 –; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.11.2015 – L 1 KR 36/13 –; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.11.2016 – L 11 KR 4054/15 –).

Diese Auffassung hat das BSG in seiner Entscheidung vom 19.12.2017 (- B 1 KR 18/17 R -) allerdings verworfen und festgehalten, dass schon nach Wortlaut und Regelungssystem der DKR 1001h Spontanatmungsstunden nur dann als Beatmungsstunden mitzuzählen sind, wenn der Wechsel von Beatmung und Spontanatmung in einer Phase der Entwöhnung erfolgt. Schon begrifflich setzt eine Entwöhnung nach dem BSG eine zuvor erfolgte Gewöhnung an die maschinelle Beatmung voraus. Abweichende Auffassungen anderer Gerichte würden lediglich eine Entwöhnung fingieren, ohne dass diese Gegenstand der Behandlung sei. Nach dem BSG liegt nur dann eine Entwöhnung vor, wenn sich der Patient an die maschinelle Beatmung gewöhnt hat und dadurch seine Fähigkeit eingeschränkt ist, vollständig und ohne maschinelle Unterstützung spontan atmen zu können. Die DKR 1001h geht nach Ansicht des BSG von dem normativen Regelfall aus, dass ein Patient zunächst mittels Intubation oder Tracheotomie ununterbrochen maschinell beatmet wird und sich schon durch den Wechsel der Art der maschinellen Beatmung, insbesondere beim nachfolgenden Einsatz einer Beatmungsmaske eine zeitliche Zäsur zwischen Gewöhnungs- und Entwöhnungsphase ergeben kann. Ein solcher Anknüpfungspunkt fehlt nach dem BSG aber, wenn ein Patient schon von Anbeginn mittels Maske maschinell beatmet wird. Es soll sich dann nach den medizinischen Umständen des Einzelfalls richten, ob eine Gewöhnung durch Maskenbeatmung, orientiert am Leitbild der Folgen einer maschinellen Beatmung mittels Intubation oder Tracheotomie bereits mit solchen Einschränkungen eingetreten ist, so dass eine Entwöhnung von maschineller Beatmung erforderlich ist.

Die Entscheidung des BSG macht mehr als deutlich, dass die DKR 1001h der Überarbeitung bedarf, um die medizinisch wenig sinnvolle Beschränkung der berücksichtigungsfähigen Beatmungsstunden auf die eh nur schwer zu definierenden Entwöhnungsphasen zu beseitigen. Es ist weder medizinisch noch ökonomisch nachzuvollziehen, warum die Behandlung der teilweise deutlich aufwendiger zu versorgenden Patienten mit Masken-Beatmung weniger vergütet werden soll, wenn die Masken-Beatmung oft gerade mit dem Ziel erfolgt, eine invasive Beatmung zu verhindern. Zukünftig werden Gericht im Einzelfall beurteilen müssen, wie intensiv die NIV-Beatmung gewesen ist, wobei die Rechtsprechung für die nicht definierte Entwöhnung immer noch Kriterien entwickeln muss. Dies erscheint wenig zielführend, insbesondere weil die einschlägigen Leitlinien „Invasive Beatmung und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz“ dazu deutlich weiter sind als das BSG. Die Entscheidung geht daher am Stand der medizinischen Wissenschaft und den Anforderungen der Praxis vorbei.

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Meinungen zu diesem Beitrag

  1. Georg Speckamp am

    Den NL finde ich gut.
    Das Problem ‚Beatmung‘ könnte seit Jahren in den spez. DKR geregelt sein.
    Wenn es die Selbstverwaltung nicht hinbekommt, müssen halt die Gerichte entscheiden: immer Einzelfälle und nicht zum Nutzen des Ganzen.

  2. Dr. Florian Wölk am

    Vielen Dank für das Lob.
    Leider zeigt die besprochene Entscheidung des BSG aus meiner Sicht mehr als deutlich, dass das Problem bei den Gerichten nicht gut aufgehoben ist. Insofern ist nur zu hoffen dass das Urteil genug Problembewußtsein in der Praxis schafft und die DKR schnell den Bedürfnissen der Praxis angepasst wird.
    Mit freundlichen Grüßen
    Florian Wölk

  3. Dr. Florian Wölk am

    Sehr geehrter Herr Dr. Schöffend,

    das ist sicherlich richtig. Umso mehr stellt sich aber aus meiner Sicht die Frage, warum in der DKR immer noch keine praxistaugliche Regelung für die Maskenbeatmung gefunden werden konnte.

    Mit freundlichen Grüßen

    Florian Wölk

  4. Prof Dr G Laier-Groeneveld am

    Das Problem wäre durch die für die Anwender eindeutigen Kodierrichtlinien eindeutig geregelt wenn nicht pausenlos medizinische Halbwahrheiten eingebracht würden, die letztendlich zu Fehlurteilen führen.
    Die invasiv Beatmung und die nichtinvasive Beatmung bei lebensbedrohlicher Atmungsinsuffizienz unterscheiden sich ausschließlich durch die Narkose und deren Konsequenzen.
    Weaning in diesem Sinne gibt nicht in beiden Fällen. Es werden Krankheiten behandelt, Fehler korrigiert (Überwässerung, Sedativa absetzten, Sekretmanagement, Kanülenmanagement, etc).
    Täglich wird geprüft ob der Betroffene spontan atmen kann. Nichts weiter.
    Daher können Beatmungsstunden gleichermaßen durchgängig kodiert werden während der Behandlung auf Intensivstation. Weaning spielt dabei überhaupt keine Rolle. Erstmals 2019 ist Weaning in den Kodierrichtlinien berücksichtigt.

  5. Prof Dr G Laier-Groeneveld am

    Jede Beatmung verläuft und endet nach einer Phase der Entwöhnung. Jedes Fahrzeug steht nach einer Phase der Verlangsamung. Dabei ist es einerlei ob die Beatmung aprupt beendet wird z. B. mit der Extubation (das Auto gegen eine Mauer fährt) oder über mehrer Phasen von Spontanatmungsversuchen (mit unterschiedlich starkem Bremsen).
    Weaning (die Art des Abbremsens) spielt also überhaupt keine Rolle. Der Zusatz nach einer Periode der Entwöhnung ist also ein bedeutungsloser Zusatz, da dies ohne Ausnahme immer so ist.
    Maskenbeatmung statt Intubation muss immer durchgehend kodiert werden.

  6. Dr. Florian Wölk am

    Sehr geehrter Herr Professor Laier-Groeneveld,

    vielen Dank für Ihre Kommentare.
    Ihre Auffassung wird von vielen medizinischen Experten geteilt. Umso mehr ist nicht ganz nachzuvollziehen, warum die entsprechenden Kodierrichtlinien nicht geändert werden. Da die Gerichte aufgrund der Rechtsprechung des BSG an den Wortlaut der Kodierrichtlinien gebunden sind, werden wir leider auch in Zukunft immer wieder darum streiten, ob eine Gewöhnung bzw. Entwöhnung vorliegt, wobei jedem Experten eigentlich klar ist, dass dieses Kriterium für die eigentlich wichtigen Fragen bei der Beatmung nicht relevant ist. Die Situation erscheint absurd, wird aber nur durch eine sachgerechte Neufassung der Kodierrichtlinien zur künstlichen Beatmung zu ändern sein.

    Mit freundlichen Grüßen

    Florian Wölk

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