Kein Mitspracherecht der Gemeinden bei Schließung von „Notfallpraxen“

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Die Sicherstellung der ärztlichen Betreuung in sprechstundenfreien Zeiten wird in der ambulanten vertragsarztrechtlichen Versorgung zunehmend zum Problem, so dass die Kassenärztlichen Vereinigungen verstärkt sog. Bereitschaftsdienstpraxen oder Notfallpraxen schließen und das Angebot an zentralen Standorten in Kooperation mit dort ansässigen Krankenhäusern bündeln. Die Schließung entsprechender Versorgungseinrichtungen führt in den betroffenen Gemeinden naturgemäß zu Unmut. Gerne hätten die betroffenen Gemeinden zumindest ein Mitspracherecht. Das SG Stuttgart hatte sich in einem aktuellen Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b SGG mit der Frage zu beschäftigen, ob die betroffenen Gemeinden von den Kassenärztlichen Vereinigungen an der Entscheidung über die Schließung von Bereitschaftsdienstpraxen zu beteiligen sind. Einen entsprechenden Anspruch verneinte das SG Stuttgart in der Entscheidung vom 22.03.2025 (– S 12 KA 922/25 ER -) aber verneint.

Nach Ansicht des Gerichts fehlt es für die betroffenen Gemeinden an einem Anordnungsanspruch, denn sie haben nach der gebotenen summarischen Prüfung keinen Rechtsanspruch, von der Kassenärztlichen Vereinigung an der Entscheidung über die Schließung der jeweiligen örtlichen Notfallpraxen beteiligt zu werden. Damit steht den Gemeinden auch im Verfahren kein gerichtlich durchsetzbares Mitspracherecht zu.

Die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten (Notdienst) ist nach § 75 Abs. 1b Satz 1 iVm. Abs. 1 Satz 1 SGB V alleinige Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigungen ( dazu auch BSG, Urteil vom 11.05.2011 – B 6 KA 23/10 R –). Damit obliegt auch die Organisation des Notdienstes  der Kassenärztlichen Vereinigung. Gesetzliche Vorgaben, in welcher Weise der Notdienst zu organisieren ist, bestehen nicht. Vielmehr können die Kassenärztlichen Vereinigungen die Einzelheiten der Organisation und Finanzierung des vertragsärztlichen Notdienstes im Rahmen ihrer Satzungsautonomie regeln. Dabei steht ihnen als Selbstverwaltungskörperschaften ein weiter Gestaltungsspielraum zu (dazu auch BSG, Urteil vom 25.10.2023 – B 6 KA 20/22 R –).

Ein Anspruch Dritter auf Beteiligung an der Organisation des Notdienstes – in welcher Form auch immer – bedarf darum einer besonderen – nicht notwendigerweise formalgesetzlichen – Rechtsgrundlage. Hierfür kommt allein § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB X, wonach die jeweiligen Gebietskörperschaften sowie die gemeinnützigen und freien Einrichtungen und Organisationen insbesondere hinsichtlich der Bedarfsermittlung beteiligt werden sollen. Auch § 86 SGB X statuiert ein solches Kooperationsgebot. Das allgemeine Zusammenarbeitsgebot des § 86 SGB X wird jedoch durch § 95 SGB X konkretisiert.

Dies gilt aber nicht, soweit eine abweichende Regelung  iSd. § 37 Satz 1 SGB I vorliegt.  Eine Abweichung gegenüber dem SGB X kann, muss aber nicht dem Wortlaut der vorrangigen Vorschrift unmittelbar zu entnehmen sein. Verdrängende Wirkung kommt einer Spezialregelung im Rahmen der besonderen Teile des SGB auch ohne ausdrückliche Anordnung zu, wenn sich aus ihrem Sinn und Zweck bei Berücksichtigung der zugrundeliegenden Interessenbewertung ergibt, dass der von ihr erfasste Sachverhalt eigenständig und abweichend geregelt werden soll (BSG, Urteil vom 23.07.2015 – B 2 U 15/14 R –).

Nach diesen Maßstäben kann nach dem SG Stuttgart zwar nicht davon ausgegangen werden, dass § 95 SGB X im Vertragsarztrecht grundsätzlich unanwendbar wäre, jedoch vermittelt die Vorschrift den betroffenen Gemeinden kein subjektives – und damit gerichtlich durchsetzbares – Recht an der Beteiligung der Entscheidung der Kassenärztlichen Vereinigung über die Organisation des ärztlichen Bereitschaftsdienstes.

Das SG Stuttgart betont zwar, dass dies nicht selbstverständlich sei und rechtlich auch eine andere Auffassung vertretbar sei, begründet seine Auffassung im Ergebnis aber damit, dass  der Regelungszweck des § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB X darin besteht, die Qualität der Planung zu verbessern, nicht zuletzt zur Vermeidung ineffektiver Doppelstrukturen oder einander gar wechselseitig abträglicher Aufgabenerfüllung. Die planende Stelle ist gehalten, auf die Kenntnisse, Bedürfnisse und Erfahrungen der jeweiligen Gebietskörperschaft, die über eine besondere Ortsnähe verfügen wird, zurückzugreifen. Nach dem Wortlaut soll die Beteiligung „insbesondere hinsichtlich der Bedarfsermittlung“ erfolgen. Eine Bedarfsermittlung dient aber primär den Bedürfnissen der planenden Stelle und dem objektiven Interesse an einer bedarfsgerechten Planung. Dementsprechend soll aus § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB X eine Rechtspflicht der Gebietskörperschaften zur Mitwirkung im Sinne einer spezifischen Pflicht zur Amtshilfe folgen. Den Umkehrschluss, dass den Gebietskörperschaften ein korrespondierender Anspruch auf Beteiligung zukomme, lässt dies nach dem SG Stuttgart nicht zu.

Die Entscheidung ist rechtlich durchaus vertretbar, wobei das SG Stuttgart auch darauf verweist, dass eine andere Entscheidung denkbar gewesen wäre. Die Entscheidung zeigt aber die Problematik auf, dass die umfassende Versorgung der Bevölkerung gerade in ländlichen Bereichen nur im Zusammenwirken der Kassenärztlichen Vereinigung mit den Gemeinden zu lösen ist. Es ist daher durchaus erwägenswert, den betroffenen Gemeinden auch ein rechtlich durchsetzbare Mitspracherecht zu gewähren. Sie sollten an den entsprechenden Planungen beteiligt werden, auch wenn das alleinige Entscheidungsrecht bei den Kassenärztlichen Vereinigungen liegt.

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