Zum Begriff der Behandlungsleitung

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In zahlreichen von den Krankenkassen betriebenen Regressverfahren gegen Krankenhäuser ist die Einhaltung der Mindestvoraussetzung der Behandlungsleitung umstritten.

Dabei ist insbesondere für die intensivmedizinische Komplexbehandlung nach dem OPS-Kode 8-980 umstritten, in welchen zeitlichen Umfang die Behandlungsleitung durch einen entsprechen qualifizierten Arzt zu gewährleisten ist, insbesondere ob die Behandlungsleitung an Wochenenden und Feiertagen durch einen Rufbereitschaftsdienst ausreicht.

Der Begriff „Behandlungsleitung“ wird im OPS-Katalog an vielen Stellen verwendet, so zum Beispiel bei den frührehabilitativen Komplexbehandlungen, der multimodalen Schmerztherapie und bei den sonstigen multimodalen Komplexbehandlungen. In allen diesen Fällen wird als Strukturvoraussetzung definiert, dass die Behandlungsleitung durch eine Fachärztin oder einen Facharzt mit einer ganz spezifischen Qualifikation ausgeübt werden soll. Zeitliche Vorgaben dahingehend, wann diese Fachärztin oder dieser Facharzt anwesend sein muss oder wie in Abwesenheit zu verfahren ist, enthalten die OPS-Kodes in allen diesen Fällen nicht.

Wie unterschiedlich die Anforderungen dabei gesehen werden, zeigen zwei Entscheidungen des SG München vom 23.07.2020 (- S 15 KR 2143/18 -) und des SG Dresden vom 04.11.2020 (- S 18 KR 530/18 -).

Das SG Dresden lehnte in der zitierten Entscheidung die Kodierung des OPS-Kode 8-980 ab, weil die entsprechend qualifizierten Ärzte an den Wochenende nicht im Krankenhaus waren. Für die Einhaltung des OPS-Kode 8-980 sei nach dem Gericht zumindest eine stundenweise Anwesenheit an jeden Tag erforderlich. Auch wenn keine 24-Stunden-Anwesenheit erforderlich sei im Bereich der Intensivmedizin zu beachten, dass bei den intensivmedizinischen Patienten die für das Leben notwendigen sog. vitalen oder elementaren Funktionen lebensgefährlich bedroht oder gestört sind und der Auftrag der „Behandlungsleitung“  im Sinne einer gesteigerten Verantwortung für die unmittelbare Behandlung der Patienten nicht über das Wochenende oder „Fehltage“ pausieren darf, selbst wenn im Übrigen eine ständige ärztliche, intensivmedizinisch erfahrene Präsenz sichergestellt sei. Wegen der schwerwiegenden Erkrankungen der Patientinnen und Patienten auf einer Intensivstation könnten nach Ansicht des Gerichts behandlungsleitende Entscheidungen auch nicht in jedem Fall zwei Tage warten. Deswegen müssen die für die Behandlungsleitung qualifizierten Ärzte täglich verfügbar sein, wobei das Gericht offenließ, ob hierfür eine Anwesenheit von 7,5 Stunden in Früh- oder Spätdienst ausreichend ist. Zumindest eine bloße Rufbereitschaft reichte dem SG Dresden nicht.

Dies sieht das SG München anders. Nach dem für das Gericht klaren Wortlaut des OPS-Kode 8-980 sei unerheblich, ob die behandlungsleitenden Ärzte am Wochenende oder Feiertags Dienst haben, denn für die Leitung bedürfe es bereits nach dem Wortlaut des OPS-Kodes keinesfalls eine tägliche sowie gar 24-stündige Anwesenheit. Es reiche aus, wenn ein leitender Arzt mit der Zusatzweiterbildung „Intensivmedizin“ die Geschicke der Intensivabteilung lenke, denn andernfalls wäre im OPS-Kode die Notwendigkeit einer fortwährenden Behandlungsleitung auch nachts und am Wochenende anzugeben (so auch SG Osnabrück, Urteil vom 14.02.2018 – S 34 KR 576/16 –). Insofern sei die Einrichtung einer Rufbereitschaft sogar eine überobligatorische Anstrengung des Krankenhauses, die für die Kodierung des OPS-Kode 8-980 nicht erforderlich wäre.

Behandlungsleitung im Sinne des OPS-Kodes meine nur, dass ein Facharzt mit der Weiterbildung Intensivmedizin die medizinische Verantwortlichkeit trage, diese aber durchaus zeitlich temporär delegieren könne. Er könne diese Leitung im Rahmen von Visiten, Besprechungen, Fallerörterungen und ähnlichem, bezogen auf den medizinischen Einzelfall, ausfüllen. Hierdurch wird nicht lediglich Verantwortung für die Organisation und das Funktionieren der Organisationseinheit (vgl. BSG, Urteil vom 10.03.2015 – B 1 KR 4/ 15 R –), sondern für die medizinische Behandlung als solche übernommen. Eine temporäre Komponente dergestalt, dass die ständige Anwesenheit der Leitung erforderlich sei, enthalte der Wortlaut des OPS-Kodes nicht. Vielmehr könne eine Behandlungsleitung auch tatsächlich bei kurzzeitiger Abwesenheit ausgeübt werden. Vielmehr wäre nach dem SG Dresden im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob aufgrund einer zu langen zeitlichen Abwesenheit eine verantwortliche Führung nicht mehr möglich ist. Dies sei nach Überzeugung des Gerichts aber  bei einer maximalen Abwesenheit von zwei Tagen bei gleichzeitiger fast durchgehend gewährleisteter Rufbereitschaft nicht der Fall.

Die beiden Entscheidungen offenbaren die Auslegungsprobleme der OPS-Kodes, wobei auch unter systematischen Zusammenhängen eher die Auslegung des Begriffes der Behandlungsleitung durch das SG München korrekt erscheint. Denn auch das SG München weist daraufhin, dass der OPS-Kode als weiteres  Mindestmerkmal wird die kontinuierliche, 24-stündige Überwachung und akute Behandlungsbereitschaft durch ein Team von Pflegepersonal und Ärzten, die in der Intensivmedizin erfahren sind und die aktuellen Probleme ihrer Patienten kennen, vorsieht. Der Normgeber hat damit eine kontinuierliche, 24-stündige Überwachung und Behandlungsbereitschaft konkret aufgenommen und somit ein zeitliches Element festgeschrieben. Aus systematischen Erwägungen liegt es daher tatsächlich nahe, dass für das Mindestmerkmals der Behandlungsleitung ein solch strenges temporäres Erfordernis nicht besteht, weil eine Doppelung der ständigen Überwachung wenig Sinn macht. Das SG München weist auch zutreffend darauf hin, dass eine andere Auslegung mit Betonung der besonderen Gefahrensituationen auf der Intensivstation nicht überzeug.t Denn eine Notsituation, die ohne die 24-stündige Anwesenheit eines leitenden Arztes mit der Zusatzweiterbildung Intensivmedizin alleine durch die anwesenden Ärzte ohne diese Zusatzweiterbildung zu lösen wäre, könnte auch im Falle einer täglichen vollschichtigen Anwesenheit eines Intensivmediziners eintreten, so dass sich keine strukturell wesentlich höhere Sicherheit für die Patienten durch die Auslegung des SG Dresden ergibt.

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