Zur Abrechnung der intensivmedizinischen Komplexbehandlung
4Die Abrechnung und Rechnungsprüfung bei einer Komplexbehandlung ist nach wie vor eines der großen Konfliktfelder zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern, auf welchen insbesondere die Krankenhäuser durch die Rechtsprechung in den vergangenen Jahren manche bittere Niederlage erleiden mussten.
Dieser Reihe von gerichtlichen „Tiefschlägen“ hat das Hessische LSG in der Entscheidung vom 25.02.2021 (- L 8 KR 722/18 -) eine weitere Niederlage für die Krankenhausseite hinzugefügt.
Streitgegenständlich war die Kodierung einer aufwendigen intensivmedizinischen Komplexbehandlung nach dem OPS-Kode 8-98f für einen Behandlungsfall aus dem Jahr 2017 in einem Krankenhaus, dass die 24-stündige Verfügbarkeit der radiologischen Diagnostik mit einer kooperierenden radiologischen Berufsausübungsgemeinschaft sicherstellte.
Die Krankenkasse führte keine Einzelfallprüfung nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V durch, sondern nahm eine Verrechnung des zuvor gezahlten Rechnungsbetrages aufgrund eines sog. Strukturgutachtens des Medizinischen Dienstes (MD) vor, welche die Einhaltung der Mindestvoraussetzungen verneinte, weil die entsprechenden Leistungen nach dem Wortlaut des OPS-Kodes nicht im eigenen Klinikum vorgehalten werden. Die Sicherstellung der Leistungserbringung durch niedergelassene Kooperationspartner reiche für die Kodierung der Komplexbehandlung nicht aus.
Dieser Auffassung schlossen sich die Richter des Hessischen LSG an. Der seit dem Jahr 2013 im OPS-Kode 8-98f lautende Passus „…24-stündige Verfügbarkeit folgender Verfahren…“ ist zum Jahr 2016 um die Ergänzung „im eigenen Klinikum“ erweitert worden. Damit sei nach Ansicht der Richter eine Klarstellung dahingehend erfolgt, dass die durch Kooperation mit einem anderen Leistungserbringer hergestellte 24-stündige Verfügbarkeit nicht den Anforderungen des OPS-Kodes für die intensivmedizinische Komplexbehandlung entspricht. Dies ergibt sich auch aus dem übrigen Wortlaut des OPS-Kodes im Zusammenhang. Der OPS-Kodes 8-98f unterscheidet zwischen Verfahren, Fachgebieten oder Leistungen, die zwingend im abrechnenden Klinikum selbst jederzeit oder innerhalb eines bestimmten Zeitraums zur Verfügung stehen müssen und solchen, die aufgrund einer Vereinbarung mit einer anderen Klinik von dieser für die abrechnende Klinik erbracht werden können (sog. Konsiliardienste). Solche Konsiliardienste werden im OPS-Kode 8-98f wie folgt ausdrücklich aufgeführt: „Mindestens 7 von den 9 folgenden Fachgebieten sind innerhalb von maximal 30 Minuten im Krankenhaus als klinische Konsiliardienste (klinikzugehörig oder aus benachbarten Kliniken) verfügbar: Innere Medizin, Kardiologie, Gastroenterologie, Neurologie, Anästhesiologie, Viszeralchirurgie, Unfallchirurgie, Gefäßchirurgie, Neurochirurgie.“ Eine Ausnahme von der jederzeitigen 24-stündigen Verfügbarkeit enthalte der OPS-Kode 8-98f im Passus: „Innerhalb von maximal 30 Minuten im Krankenhaus verfügbare Leistungen von: Laboratorium, Radiologie, Blutbank“. Hinsichtlich der „Radiologische Diagnostik mittels CT, DSA oder MRT“ ist die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Konsiliardienstes sowie die Aufweichung des Kriteriums „24-stündige Verfügbarkeit … im eigenen Klinikum“ durch den Zusatz „Innerhalb von maximal 30 Minuten im Krankenhaus verfügbar“ hingegen nicht erfolgt. Für die Richter des Hessischen LSG ergeben sich aus dem Wortlaut sowie dem Gesamtzusammenhang der Regelungen des OPS-Kodes 8-98f keine Zweifel, dass lediglich in den ausdrücklich in den mit dem Zusatz „innerhalb von maximal 30 Minuten im Krankenhaus als klinische Konsiliardienste“ versehenen Verfahren, Fachgebieten oder Leistungsarten die Möglichkeit eröffnet sein soll, auf Fremdleistungen durch Konsiliarärzte einer anderen Klinik zugreifen zu können. Eine Abrufbarkeit des behandelnden Arztes mit einer zeitlichen Verzögerung von 30 Minuten kann mit der „24-stündige Verfügbarkeit“ nicht gleichgesetzt werden, weil es ansonsten der Aufnahme der Tatbestände mit der expliziten Benennung der Verfügbarkeit „innerhalb von maximal 30 Minuten“ nicht bedurft hätte. Bei Verfahren, in denen diese Möglichkeit nicht ausdrücklich im Wortlaut des OPS-Kode erwähnt ist, führe dies zum Ausschluss der Kodierbarkeit des OPS-Kodes 8-98f.
Zwar sei richtig, dass der OPS-Kode 8-98f. hinsichtlich der streitgegenständlichen Strukturvoraussetzung für die Komplexbehandlung auf die genannten radiologischen Verfahren abstellt. Allerdings sei dem Verfahren betreffenden Verfahren auch ein Personenbezug immanent. Der Begriff „Verfahren“ beinhaltet neben der Vorhaltung entsprechender Räumlichkeiten und Apparate auch das erforderliche Fachpersonal und die von diesen durchzuführenden Prozeduren. Bereits sprachlich beschränkt sich ein medizinisches „Verfahren“ nicht allein auf einen bestimmten Raum oder bestimmte Instrumente. Wer z.B. von dem Verfahren einer Operation spricht, meint damit nicht lediglich den Operationssaal oder bei der Operation zum Einsatz kommende Werkzeuge, sondern die Prozedur als solche einschließlich der hierbei handelnden Personen. Für die Erfüllung der Voraussetzung „Durchführung des medizinischen Verfahrens im eigenen Klinikum“ reiche es daher nicht aus, dass die betreffenden Behandlungsmaßnahmen von klinikfremden Ärzten in den Räumlichkeiten der Klinik bzw. wie vorliegend in gesonderten Räumen im gleichen Gebäude durchgeführt werden. Schon rein begrifflich weist „im eigenen Klinikum“ auf die Inhaberschaft bzw. rechtliche Zugehörigkeit hin, so dass die betreffenden Verfahren der Radiologie von klinikeigenen Ärzten in den eigenen Räumen und Mitteln der Klinik durchzuführen sind.
Gerade die letzten Ausführungen machen deutlich, dass das LSG gerade die Besonderheiten der radiologischen Verfahren, die zunehmend in den Kliniken gerade an Wochenenden und Nachtzeiten ausschließlich teleradiologisch bereut werden, nicht würdigt und der OPS-Kode letztlich selbst auf die verfügbaren Leistungen der Radiologie innerhalb von 30 Minuten verweist. Im Ergebnis reicht es daher aus, dass radiologische Leistungen innerhalb von 30 Minuten zur Verfügung stehen, die wesentlichen diagnostischen Verfahren mittels CT, DSA oder MRT müssen aber von klinikeigenen Radiologen erbracht werden, was dann die teleradiologische Leistungserbringung durch klinikfremde Ärzte völlig ausschließen dürfte. Denn nach dem vorliegenden Urteil kann der OPS-Kodes 8-98f nur dann kodiert werden, wenn die betreffenden Verfahren der Radiologie von klinikeigenen Ärzten in den eigenen Räumen und Mitteln durchgeführt werden. Dies wird die Kliniken vor erhebliche Herausforderungen stellen.
Ebenfalls problematisch ist, dass das Hessische LSG mit einem Nebensatz die einzelfallunabhängige Strukturprüfung durch die Krankenkassen absegnet. Nach Ansicht der Richter bedürfe es keiner Abrechnungsprüfung im Einzelfall durch den MD, wenn von der Beklagten keine Einwände in Bezug auf den konkreten Behandlungsfall, sondern allein grundsätzliche Einwände bezüglich der Merkmale des OPS-Kodes 8-98f aufgrund der personellen Ausstattung bzw. Organisationsstruktur der Klinik geltend gemacht werden. Auf welcher Rechtsgrundlage im Jahr 2017 dann aber die Rechnungsprüfung erfolgen soll, führt das Gericht nicht aus.
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Angeblich hat sich DIMDI in mehreren Antworten auf Rückfragen immer detaillierter auf die Bedeutung des Begriffs „24-stündige Verfügbarkeit“ festgelegt. Das ist m. E. ein Verstoß gegen das Prinzip Gewaltenteilung. Unverständlich ist, dass dabei die Reihenfolge der „Unmittelbarkeit“ heraus gekommen sein soll: Vorhanden – Innerhalb von 30 Minuten am Patienten – 24-stündig verfügbar.
Der MDK selbst sieht das in den Empfehlungen zur GBA-Richtlinie zur OP von Bauchaortenaneurysmata anders:
Der GBA beschreibt: „§ 4 Abs. 2 QBAA-RL
„Die Einrichtung gemäß § 1 Abs. 2 muss gewährleisten, dass entweder ein eigenständiger fachärztlicher gefäßchirurgischer Bereitschaftsdienst im Haus
oder binnen 30 Minuten ein fachärztlicher gefäßchirurgischer Rufbereitschaftsdienst an der Patientin oder dem Patienten zur Verfügung steht.“
Der MDK interpretiert:
„Die Verfügbarkeit eines gefäßchirurgischen Dienstes binnen 30 Minuten am Patienten ist im Regelfall nur bei Anwesenheit des Dienstes im Krankenhaus erfüllbar“
M. E. ist der OPS so zu verstehen, dass die o.g. Reihenfolge lauten sollte: „Vorhanden – 24-stündig verfügbar – innerhalb von 30 Minuten am Patienten.
Es gibt noch einige weitere heiße Eisen, die voraussichtlich von Gerichten entschieden werden. Angesichts des schlechten Leumunds für die Krankenhäuser, müssen wir uns wohl auf manche bittere Pille einstellen.
Sehr geehrter Herr Salome,
auch ich habe erhebliche Probleme mit der Auslegung des BSG, insbesondere weil in § 2 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG die allgemeinen Krankenhausleistungen auch die Leistungen von externen Ärzten und Kooperationspatrtnern umfassen. Gerade im Bereich der Radiologie eigentlich eine alltägliche Selbstverständlichkeit. Warum dies bei den Komplexpauschalen nach dem OPS-Katalog nun anders sein soll, erschließt sich nicht. Warum hier nun auch von der gängigen 30-Minuten-Grenze abgerückt werden soll, ist auch mit Blick auf die Versorgungsinteressen des Patienten nicht verständlich. Es zeigt sich aber die allgemeine und rechtlich fragwürdige Tendenz durch eine permanente erweiterte Auslegung der Mindestanforderungen der OPS-Kodes eine vermeintlich im Interesse des Patienten liegende Qualitätssicherung zu etablieren, die aber eigentlich Aufgabe des GBA ist. Dass die Krankenkassen dies allein zur Realisierung weiterer Einsparpotentiale nutzen, steht noch auf einem anderen Blatt. Völlig richtig weisen Sie darauf hin, dass hier noch weiterer Ungemach für die Krankenhäuser droht.
Mit freundlichen Grüßen
Florian Wölk
Man beachte hier auch den OPS-Kode „8-988 Spezielle Komplexbehandlung der Hand“
mit demStrukturmerkmal
„24-stündige Verfügbarkeit (mindestens durch Rufbereitschaft) eines Facharztes mit der Zusatzbezeichnung Handchirurgie“.
Diese Formulierung schränkt m.E. offenbar eine 24-stündige Verfügbarkeit auf Rufbereitschaften oder Anwesenheitsbereitschaft ein (mindestens Rufbereitschaft).
Sofern aber für diesen OPS-Kode eine Einschränkung(!) der 24-stündigen Verfügbarkeit notwendig erschien, muss aus dem uneingeschränkten grundsätzlichen Strukturmerkmal „24-stündige Verfügbarkeit“ eine Verfügbarkeit abgeleitet werden, die weder einer 24-stündigen Präsenz, noch einer Anwesenheitsbereitschaft noch einer Rufbereitschaft bedarf.
Anders fomruliert: das Strukturmerkmal 24-stündige Verfügbarkeit schließt einen Rufdienst in der Regel nicht aus, wird aber für manche OPS-Kodes dahingehend eingeschränkt (!) dass mindestens (!) ein Rufdienst die Verfügbarkeit gewährleistet.
In Anlehnung an Herrn Salome stimme ich daher der Reihenfolge zu
– Vorhanden
– 24-stündige Verfügbarkeit
– 24-stündig Verfügbarkeit (mindestens Rufdienst)
– innerhalb von 30 Minuten am Patienten.
Mit freundlichen Grüßen
C. Hirschberg
Sehr geehrter Herr Hirschberg,
interessanter Ansatz, aber das BSG scheint die 24-stündige Verfügbarkeit doch anders zu verstehen.
Mit freundlichen Grüßen
Florian Wölk