Zur Bindungswirkung der Patientenverfügung

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Der Bundesgerichtshof hatte in einer aktuellen Entscheidung vom 08.02.2017 (- XII ZB 604/15 -) die Möglichkeit noch einmal umfassend zur Bindungswirkung einer Patientenverfügung bei der gerichtlichen Genehmigung nach § 1904a BGB und der rechtlichen Bewertung antizipierter Erklärungen des Patienten zur Einstellung der künstlichen Ernährung Stellung zu nehmen.

Hintergrund war die Frage, ob aufgrund einer Patientenverfügung einer Patientin die Einstellung der künstlichen Ernährung zulässig war. In der Patientenverfügung lehnte die Patientin Maßnahmen der aktiven Sterbehilfe ab und erklärte die Verweigerung der Zustimmung in lebenserhaltende Maßnahmen für bestimmte Situationen. Konkrete Vorgaben für die Einstellung der künstlichen Ernährung enthielt die Patientenverfügung nicht. Der Sohn und der Ehemann wurden als alleinvertretungsberechtigte Betreuer bestellt. Der Sohn regte auf Basis der Patientenverfügung und Äußerungen der Patienten in Einvernehmen mit dem behandelnden Arzt die Einstellung der künstlichen Ernährung an. Der Ehemann der Patientin widersprach der Einstellung der künstlichen Ernährung.

Das Beschwerdegericht lehnte die Genehmigung der Einstellung der künstlichen Ernährung ab. Die Einstellung der künstlichen Ernährung sei nicht in der Patientenverfügung erwähnt. Aus der Erklärung ergebe sich auch kein Anhalt für einen entsprechenden mutmaßlichen Willen, weil die Patientin die aktive Sterbehilfe ablehnte und darunter nach der Wertevorstellung der Patientin auch die Einstellung der künstlichen Ernährung falle.

Diese Entscheidung hatte vor dem Bundesgerichtshof keinen Bestand.

In der lesenswerten Entscheidung referiert der Senat noch einmal die Grundlagen seiner Entscheidungen vom 17.09.2014 (- XII ZB 202/13 -) und 06.07.2016 (- XII ZB 61/16 -).

Danach entfaltet eine Patientenverfügung unmittelbare Bindungswirkung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB nur dann, wenn ihr konkreten Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können. Neben Erklärungen des Erstellers der Patientenverfügung zu den ärztlichen Maßnahmen, in die er einwilligt oder die er untersagt, verlangt der Bestimmtheitsgrundsatz, dass die Patientenverfügung erkennen lässt, ob sie in der konkreten Behandlungssituation Geltung beanspruchen soll. Eine Patientenverfügung ist nach dem Bundesgerichtshof nur dann ausreichend bestimmt, wenn sich feststellen lässt, in welcher Behandlungssituation welche ärztliche Maßnahmen durchgeführt werden bzw. unterbleiben sollen. Eine Patientenverfügung genügt diesen Anforderungen, wenn sie einerseits konkret die Behandlungssituationen beschreibt, in der die Verfügung gelten soll, und andererseits die ärztlichen Maßnahmen genau bezeichnet, in die der Ersteller einwilligt oder die er untersagt, etwa durch Angaben zur Schmerz- und Symptombehandlung, künstlichen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr, Wiederbelebung, künstlichen Beatmung, Antibiotikagabe oder Dialyse. Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürfen dabei nicht überspannt werden.  Nicht ausreichend sind allerdings allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist. Auch die Äußerung, keine lebenserhaltenden Maßnahmen zu wünschen, enthält jedenfalls für sich genommen keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung.

Nach diesen Grundsätzen kann aber nach dem Bundesgerichtshof im entschiedenen Fall nicht angenommen werden, dass die Betroffene in ihrer Patientenverfügung eine konkrete Entscheidung dahingehend getroffen hat, in der nun eingetretenen Situation eine Fortsetzung der künstlichen Ernährung zu wollen. Dies kann nicht aus der Formulierung „aktive Sterbehilfe lehne ich ab“ abgeleitet werden.

Nach dem BGH überschreitet eine solche Annahme die Grenzen der zulässigen Auslegung. Als eine der Schriftform unterfallende Erklärung muss die Patientenverfügung primär nach ihrem schriftlich niedergelegten Inhalt ausgelegt werden. Dabei ist der Gesamtzusammenhang der Urkunde zu berücksichtigen und festzustellen, ob sich daraus insgesamt ein hinreichend eindeutig zu bestimmender Patientenwille ergibt. Allein aus der Ablehnung der aktiven Sterbehilfe kann dabei nicht auf die Ablehnung der Einstellung der künstlichen Ernährung geschlossen werden.

Der Rechtsstreit wurde vom Bundesgerichtshof an das Beschwerdegericht zur erneuten Entscheidung zurückgewiesen. Der Bundesgerichtshof zeigt in der Entscheidung dann noch einmal detailliert die weiteren Prüfungsschritte auf und erörtert konkrete den weiteren Prüfungsumfang.

Der Entscheidung ist vollumfänglich zu zustimmen. Sie bringt ein weiteres Stück Rechtssicherheit im Umgang mit Konflikten um die Patientenverfügung.

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