Zur Reichweite des Aufrechnungsverbotes nach dem SGB V

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Das BSG hat sich am 28.08.2024 in einer Reihe von Entscheidungen (- B 1 KR 18/23 R -, – B 1 KR 23/24 R -, B 1 KR 24/24 und  – B 1 KR 25/24 R -) mit der strittigen Frage zu beschäftigen, ob die Vertragsparteien der sog. Übergangs-PrüfVV berechtigt waren, die Fortgeltung der unbeschränkten Aufrechnungsmöglichkeit der Krankenkassen nach den Regelungen der §§ 8, 10 PrüfVV 2016 zu vereinbaren, nach dem zum 01.01.2020 das grundsätzliche Aufrechnungsverbot in § 109 Abs. 6 SGB V in Kraft getreten ist.

Die Wirksamkeit der Fortgeltung der unbeschränkten Aufrechnungsmöglichkeit war von den Instanzgerichten teilweise bezweifelt worden (vgl. etwa SG Nürnberg, Urteil vom 29.03.2023 – S 2 KR 326/22 –SG Halle (Saale), Urteil vom 25.06.2024 – S 17 KR 1209/21 –; a.A. SG Braunschweig, Urteil vom 26.02.2024 – S 56 KR 1077/21 – und Bayerisches LSG, Urteil vom 13.05.2024 – L 20 KR 509/22 –).

Das BSG hat sich dazu entschieden, dass die Regelungen der Übergangs-PrüfVV mit der umfassenden Aufrechnungsmöglichkeit für den Zeitraum 01.01.2020 bis zum 31.12.2021 von der Ermächtigungsvorschrift des § 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V gedeckt sind und daher eine Aufrechnung auch mit strittigen Forderungen der Krankenkassen möglich war.Das BSG begründet diese Ansicht zunächst damit, dass auch die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 109 Abs. 6 SGB V bereits vereinbarte Übergangs-PrüfVV vom 10.12.2019 für die Zeit nach dem 01.01.2020 gelten müsse und nicht von den Vertragsparteien des § 17c Abs. 2 KHG erneut vereinbart werden müsste. Eine solche Neuvereinbarung sei angesichts der bekannten Gesetzesnovellierung im Jahr 2019 nach Ansicht des BSG „reine Förmelei“.

Im Übrigen ergebe sich weder aus dem Wortlaut des § 109 Abs. 6 SGB V noch aus der Gesetzesbegründung ein Anhaltspunkt dafür, dass die  Vertragsparteien nach § 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V nicht auf eine umfassende Abrechnungsmöglichkeit vereinbaren dürften.

Im Wesentlichen meint das BSG aber, dass die vereinbarte unbeschränkte Aufrechnungsmöglichkeit auch dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung des Aufrechnungsverbotes § 109 Abs. 6 SGB V nicht zuwiderlaufe, der zweifelsfrei darin bestehe, die durch das kompensatorische Beschleunigungsgebot gesicherte Liquidität der Krankenhäuser abzusichern. Dieser Zweck der gesetzlichen Normierung des Aufrechnungsverbotes wird nach dem BSG aber durch die „Stärkung der Verhandlungsposition“ der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG)  gewahrt, ohne deren Zustimmung zu einer abweichenden Regelung es beim gesetzlichen Ausschluss der Aufrechnung bliebe. Wenn die DKG sich aber in Ansehung anderer Verhandlungserfolge (Suspendierung des Verbotes der Rechnungskorrektur nach § 17c Abs. 2a KHG dazu entschließe, den Krankenkassen die unbeschränkte Möglichkeit der Aufrechnung zu zustehen, ist es nach Meinung der Richter des 1. Senates des BSG nicht ihre Aufgabe, im Nachhinein über die Ausgewogenheit solcher vertraglicher Vereinbarungen zu befinden. Das BSG formuliert sehr deutlich, dass es nach § 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V allein Sache der DKG der Bedeutung des Aufrechnungsverbotes für die Liquidität der Krankenhäuser in den vertraglichen Vereinbarungen Geltung zu verschaffen.

Die Entscheidungen des BSG sind mit Blick auf den Wortlaut des § 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V vertretbar. Soweit das BSG mit Blick auf den Sinn und Zweck des Aufrechnungsverbotes die Verantwortung für die missliche Lage der Krankenhäuser und der teilweise erheblichen Liquiditätsengpässe aber allein der DKG zuschieben will, greift die Entscheidung zu kurz und offenbart einen merkwürdigen Widerspruch. Dabei mag zunächst im Jahr 2019 noch für die Vereinbarungen viel gesprochen haben, wobei auch die damalige Sondersituation und die konkreten Verhandlungspositionen zu berücksichtigen sind. Es erscheint aber merkwürdig, wenn das BSG in seiner Argumentation zum gesetzgeberischen Ziel des Aufrechnungsverbot den Schwerpunkt auf die Verhandlungsmacht der DKG legt, den eigentlich notwendigen Neuabschluss der PrüfVV in Ansehung des Aufrechnungsverbotes und der geänderten Verhandlungsmacht der DKG dann aber als „bloße Förmelei“ abtut. Hier überzeugt die Argumentation des BSG nicht.

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