Ärztliche Behandlung minderjähriger Patienten
0Die Behandlung minderjähriger Patienten stellt nicht nur praktisch, sondern auch rechtlich für viele Ärzte in vielerlei Hinsicht immer noch ein rechtliches Problem dar. In einem Urteil vom 12.05.2022 (- III ZR 78/21 -), das sich in erster Linie mit der Vergütungspflicht aus § 615 S. 1 BGB im Kontext von Terminabsagen aufgrund potentieller Corona-Infektionen beschäftigt, hat der BGH Klarstellungen zu grundlegenden Fragen der vertragsrechtlichen Konstruktion bei der Behandlung Minderjähriger getroffen.
Minderjährige können Behandlungsverträge grundsätzlich nicht ohne die Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter abschließen, weil die Vergütungspflicht einen rechtlichen Nachteil darstellt (§ 107 BGB). Konstruktiv möglich ist deshalb entweder die Vertretung Minderjähriger durch ihre gesetzlichen Vertreter, insbesondere ihre Eltern (§ 1629 BGB) oder aber der Abschluss eines Vertrages zwischen den Eltern und dem Behandelnden zugunsten der minderjährigen Kinder gemäß § 328 BGB.
In die Betrachtung muss allerdings auch der Versichertenstatus der Minderjährigen – gesetzlich oder privat – miteinbezogen werden. Schließlich richtet sich der Vergütungsanspruch des Behandelnden bei gesetzlich Versicherten ausschließlich gegen die Krankenkasse, sodass häufig angenommen wird, dass der Behandlungsvertrag für den Minderjährigen im Sinne des § 107 BGB lediglich rechtlich vorteilhaft sei. Insbesondere wird dies für minderjährige, gesetzlich versicherte Patienten, die das fünfzehnte Lebensjahr vollendet haben, vertreten, weil diese gemäß der Regelung in § 36 Abs. 1 S. 1 SGB I Anträge auf Sozialleistungen stellen und verfolgen sowie Sozialleistungen entgegennehmen können. Es wird deshalb teilweise angenommen, dass ein Vertragsschluss durch den Minderjährigen insofern auch ohne Beteiligung der gesetzlichen Vertreter in Betracht kommt.
Nach Auffassung des BGH kommt nun der Behandlungsvertrag in der Regel zwischen den Eltern und dem Behandelnden als Vertrag zugunsten des Kindes zustande (§§ 630a, 328 BGB), wenn ein minderjähriges Kind von seinen Eltern in einer Arztpraxis zur medizinischen Behandlung vorgestellt wird.
Den Grund für die Wahl dieser vertraglichen Konstruktion sieht der BGH in erster Linie in der Personensorgepflicht aus § 1626 BGB, der die Eltern durch den Vertragsschluss zugunsten des Kindes nachkommen. Zwar sei diese Begründung auf minderjährige Kinder gesetzlich krankenversicherter Eltern nur eingeschränkt übertragbar, weil diesen in der Regel als mitversicherten Familienangehörigen (§ 10 SGB V) eigene Leistungsansprüche in der gesetzlichen Krankenversicherung zustehen, die sie selbst und unabhängig von dem Stammversicherten geltend machen können. Ausgeschlossen sei diese Konstruktion auch in dieser Konstellation jedoch nicht. Gerade bei jüngeren Kindern (im vom BGH entschiedenen Fall fünf und sieben Jahre) entspricht es der Verkehrserwartung, dass der Behandlungsvertrag unabhängig von der Art der Krankenversicherung mit den Eltern zustande kommt.
Die Entscheidung schafft insofern Klarheit, als dass auch bei gesetzlich versicherten Minderjährigen ein Vertrag zugunsten Dritter in Betracht kommt, obwohl diesen eigene Leistungsansprüche in der Krankenversicherung zustehen. Die Konstruktion über einen Vertrag zugunsten Dritter ist umso naheliegender, je jünger die Kinder sind. Entscheidend sind hier die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Art der Unterschriftsleistung – mit oder ohne Vertreterzusatz – und die Frage, ob der Minderjährige bereits das fünfzehnte Lebensjahr vollendet hat (§ 36 Abs. 1 S. 1 SGB I).
Dabei ist aber zu beachten, dass Aufhänger der Entscheidung die Vergütungspflicht aus § 615 S. 1 BGB gewesen ist. Insofern stellte der BGH nunmehr klar, dass diese Vorschrift auch auf Behandlungsverträge anwendbar ist (§ 630b BGB). Die rechtliche Stellung der minderjährigen Patienten als selbstbestimmter Patient wird von dieser vertraglichen Konstellation nicht beeinflusst und hängt immer noch von seiner Einwilligungsfähigkeit ab. Dies ist entscheidend für die ärztliche Schweigepflicht – auch gegenüber den gesetzlichen Vertretern – und der Annahme eines zumindest dem Patienten zustehenden „Veto-Rechts“ gegen die Vornahme der ärztlich angeraten Behandlung.
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Der Beitrag stammt von unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Herrn Julian Meese