Wann wird die Massenprüfung zum Rechtsmissbrauch?
2Die grundlegenden Auseinandersetzungen über die Notwendigkeit stationärer Behandlungen können für spezialisierte Vertragskrankenhäuser nach § 108 Nr. 3 SGB V zur Existenzbedrohung werden, wenn die Krankenkassen dazu übergehen, jeden Behandlungsfall durch den MDK nach § 275 SGB V überprüfen zu lassen und entsprechende Verrechnungen vornehmen. Gerade Fachkliniken im Bereich der Schmerztherapie, der Psychiatrie oder Psychosomatik können durch Massenprüfungen in eine finanzielle Schieflage kommen, wobei sich immer die Frage nach dem Rechtsmissbrauch der Prüfkompetenz der Krankenkasse stellt.
Das Sächsische Landessozialgericht hatte in einem aktuellen Beschluss vom 26.02.2019 (– L 9 KR 691/17 B ER –) über ein entsprechendes Eilverfahren eines Krankenhausträger zu entscheiden.
Dem Eilverfahren lag der Sachverhalt zugrunde, dass ein Krankenhausträger von den Patienten einer Krankenkasse aufgrund der eingeleiteten Massenprüfungen vor Beginn der Behandlung eine schriftliche Kostenübernahmeerklärung verlangte. Die Krankenkasse hatte das Krankenhaus unter Hinweis auf die gesetzliche Behandlungspflicht nach § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V zur Unterlassung der Einholung der Kostenerklärungen aufgefordert, wogegen das Krankenhaus einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beantragte.
Das Sächsische Landessozialgericht lehnte den Eilantrag des Krankenhauses aber ab und hob eine anderslautende Entscheidung des Sozialgerichts Dresden auf.
Das Gericht weist zunächst zutreffend daraufhin, dass die maßgeblichen rechtlichen Vorgaben für die Prüfung der Erforderlichkeit vollstationärer sich insbesondere aus dem SGB V und der auf dieser Grundlage nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB V getroffenen landesrechtlichen Vereinbarung (LV) sowie der auf dieser Grundlage nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V vom GBA erlassenen Richtlinien ergeben. Aus den rechtlichen Grundsätzen zur Prüfung der Erforderlichkeit stationärer Krankenhausbehandlungen ergibt sich nach der Ansicht des Sächsischen Landessozialgerichts, dass eine Prüfung seitens des Krankenhauses vor Aufnahme und seitens der Krankenkasse regelmäßig erst danach insbesondere nach Eingang der Abrechnung vorgenommen wird. Das Krankenhaus hat die Erforderlichkeit von Krankenhausbehandlung daher selbst und in eigener Verantwortung zu prüfen. Wenn das Krankenhaus die stationäre Behandlungsnotwendigkeit bejaht, ist es verpflichtet, den Versicherten aufzunehmen und zu behandeln. Die Verweigerung notwendiger Behandlung kann Haftungsansprüche gegenüber dem Versicherten auslösen. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V ordnet damit das Risiko der Erforderlichkeitsprüfung dem Krankenhaus zu. Das Vergütungsrisiko für eine nicht notwendige Krankenhausbehandlung ebenso wie die Nachteile der Nichterweislichkeit im nachfolgenden Rechtsstreit sind allein vom Krankenhaus zu tragen (so auch BSG, Urteil vom 28.02.2007 – B 3 KR 15/06 R –). Insofern kann das Krankenhaus die stationäre Behandlung auch nicht von der Abgabe einer Kostenübernahmeerklärung der Krankenkasse oder gar des Patienten abhängig machen und damit die gesetzliche Risikoverteilung ändern.
Etwas anders würde sich nach der Ansicht des Gerichts nur dann ergeben, wenn das Vorgehen der Krankenkasse für das Krankenhaus existenzgefährdend wäre oder wenn das Krankenhaus gehindert wäre, nachträglich Einwendungen wegen „struktureller“ Auffälligkeiten geltend zu machen oder sich das Verhalten der Krankenkasse als Rechtsmissbrauch darstelle, was im vorliegenden Sachverhalt das Gericht aber nicht angenommen hat.
Die Entscheidung zeigt wieder sehr deutlich, dass die Gerichte nach wie vor sehr zurückhaltend sind, einen Rechtsmissbrauch der Prüfkompetenz der Krankenkassen aus § 275 SGB V zu bejahen. Auch wenn der Ansicht des Sächsischen Landessozialgerichts hinsichtlich der vom Krankenhaus verlangten Kostenübernahmeerklärung zu zustimmen ist, müsste auch die Frage beantwortet werden, ob wirklich jeder Behandlungsfall eine Auffälligkeitsprüfung nach § 275 SGB V rechtfertigen kann. Diese Praxis der Massenprüfungen durch eine Krankenkasse muss zumindest einen Anhaltspunkt für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten darstellen, der zumindest eine ausreichende sachliche Rechtfertigung verlangt, wofür der bloße Verweis auf die Verpflichtung zur Rechnungsprüfung kaum ausreichen dürfte. Denn auch hier ist es nicht Aufgabe der Abrechnungsprüfung im EInzelfall nach § 275 SGB V strukturelle Probleme zwischen Krankenhaus und Krankenkasse zu lösen. Die Entscheidung zeigt aber auch sehr deutlich, dass die Einholung einer Kostenübernahmeerklärung für die Krankenhäuser kein gangbarer Lösungsweg für diese Problematk ist.
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Sehr geehrter Herr Dr. Wölk,
wie interpretieren Sie Randnummer 28 des Beschlusses des Großen Senats vom 25.09.2007 (Az. GS 1/06) in diesem Kontext:
„Die Entscheidung darüber, ob dem Versicherten ein Anspruch auf Gewährung vollstationärer Krankenhausbehandlung als Sachleistung zusteht und darin eingeschlossen die Entscheidung, ob eine stationäre Behandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist, obliegt nicht dem Krankenhaus, sondern der Krankenkasse, gegen die sich der Anspruch richtet. Die Entscheidungsabläufe sind unterschiedlich, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt die Kasse mit dem Leistungsbegehren befasst wird.
Beantragt der Versicherte vorab die Genehmigung einer […] vertragsärztlich verordneten Krankenhausbehandlung, so entscheidet die Krankenkasse ihm gegenüber durch Verwaltungsakt.“
In Kombination mit § 13 Abs. 3a SGB V ergäbe das System der Kostenübernahmeanfragen in den Bereichen, in denen die Frage nach der vollstationären Behandlungsbedürftigkeit einen Ermessensspielraum bietet m.E. einen Sinn.
mfg
Wolfgang Fiori
Sehr geehrter Herr Dr. Fiori,
vielen Dank für den wichtigen Hinweis, der nach meiner Einschätzung aber allein das Verhältnis zwischen Versicherten und Krankenkasse im Vorfeld der stationären Behandlung betrifft. Auf die zeitliche Dimension weist auch der Große Senat in dem zitierten Beschluss vom 25.09.2007 (- GS 1/06) hin. Insofern kann das Krankenhaus aus einer Entscheidung der Krankenkasse im Vorfeld der Aufnahmeentscheidung sicherlich auch eine für sich günstige Rechtsposition ableiten, wenn sie dann vorliegt. Dies dürfte aber nichts daran ändern, dass ein Krankenhaus schwerlich eine Kostenübernahmeerklärung vom Patienten oder von der Krankenkasse im Vorfeld verlangen kann und davon die stationäre Aufnahme abhängig machen darf, worauf auch das LSG Dresden in dem entsprechenden Beschluss aus meiner Sicht korrekt hinweist. Zutreffend weisen Sie daraufhin, dass in den „sensiblen“ Bereichen wie stationäre Schmerztherapie, Psychosomatik, etc. der Streit über die stationäre Behandlungsnotwendigkeit zeitlich vor die Aufnahmeentscheidung durch das Krankenhaus und personell ins Verhältnis zwischen Versicherten und Krankenkasse verlagert werden kann, worauf der Patient sich aufgrund seines zunächst einmal anzunehmenden Sachleistungsanspruchs aber auch erst einmal einlassen muss. Ob dies in der Praxis ein gangbarer Weg ist, erscheint aus meiner Sicht mit Blick auf die primären Interessen des Patienten zweifelhaft.
Mit freundlichen Grüßen
Florian Wölk