Aufklärung bei Neulandmethoden

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Der BGH hat seine Rechtsprechung im Arzthaftungsrecht zur notwendigen Aufklärung bei Neulandmethoden in einer neuen Entscheidung vom 18.05.2021 (- VI ZR 401/19 -) präzisiert.

Hintergrund der Entscheidung war die Implantation einer hergestellte Bandscheibenendoprothese des Typs „Cadisc-L“, die vollständig aus Kunststoff gefertigt war und anders als die übrigen am Markt gebräuchlichen Implantate keinen äußeren Titanmantel aufwies. Allerdings wurde dieser Prothesentypspäter vom Hersteller zurückgerufen. Aufgrund von Problemen, musste die Prothese auch beim klagenden Patienten ersetzt werden, der insbesondere einwandte nicht vollständig über die Neuartigkeit des Prothesentyps aufgeklärt worden zu sein. Der Arzt verteidigte sich auch mit dem Hinweis, dass selbst bei vollständiger Aufklärung, der Patient auf jeden Fall in die Behandlung eingewilligt hätte (sog. hypothetische Einwilligung).

Dieser Argumentation folgte der BGH aber nicht.

Zunächst stellte der BGH klar, dass  bei der Anwendung einer nicht allgemein anerkannten medizinischen Behandlungsmethode zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erhöhte Anforderungen an dessen Aufklärung zu stellen sind. Dem Patienten müssen nicht nur das Für und Wider dieser Methode erläutert werden, sondern er ist auch darüber aufzuklären, dass der geplante Eingriff nicht oder noch nicht medizinischer Standard ist. Will der Arzt eine neue und noch nicht allgemein eingeführte Methode mit noch nicht abschließend geklärten Risiken anwenden, so hat er den Patienten weiterhin darüber aufzuklären, dass unbekannte Risiken derzeit nicht auszuschließen sind. Eine Neulandmethode darf nur dann am Patienten angewandt werden, wenn diesem zuvor unmissverständlich verdeutlicht wurde, dass die neue Methode die Möglichkeit unbekannter Risiken birgt. Dies ist erforderlich, um den Patienten in die Lage zu versetzen, sorgfältig abzuwägen, ob er sich nach der herkömmlichen Methode mit bekannten Risiken behandeln lassen möchte oder nach der neuen Methode unter besonderer Berücksichtigung der in Aussicht gestellten Vorteile und der noch nicht in jeder Hinsicht bekannten Gefahren.

Diese strengen Maßstäbe sind auch bei der Beurteilung der hypothetischen Einwilligung des Patienten zu beachten.

Zwar trifft den Arzt für seine Behauptung, der Patient hätte bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt, die Beweislast erst dann, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, dass er – wäre er ordnungsgemäß aufgeklärt worden – vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte. Allerdings dürfen an die Substanziierungspflicht des Patienten zur Darlegung eines solchen Konflikts keine zu hohen Anforderungen gestellt werden, was insbesondere dann in besonderem Maße gilt, wenn der Arzt eine noch nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode angewandt hat. Dabei ist zu beachten, dass gedankliche Voraussetzung der hypothetischen Einwilligung stets die Hypothese einer ordnungsgemäßen, insbesondere auch vollständigen Aufklärung ist. Diese Hypothese ist auch der Beurteilung der Frage zugrunde zu legen, ob der Patient einen Entscheidungskonflikt plausibel gemacht hat . Dementsprechend hat der Tatrichter dem Patienten vor seiner – zur Feststellung der Frage, ob dieser in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, grundsätzlich erforderlichen – Anhörung mitzuteilen, welche Aufklärung ihm vor dem maßgeblichen Eingriff richtigerweise hätte zuteilwerden müssen. Denn Ausgangspunkt der Plausibilitätsprüfung ist die hypothetische Entscheidungssituation des Patienten bei ordnungsgemäßer und vollständiger Aufklärung. Angaben, die der Patient in Unkenntnis des Inhalts der ihm geschuldeten Aufklärung macht, sind grundsätzlich nicht geeignet, die Plausibilität von später in Kenntnis der geschuldeten Aufklärung gemachten Angaben infrage zu stellen. Dies gilt in besonderem Maße, wenn der Arzt eine nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode angewandt hat. Ist dem Patienten weder bekannt, dass der Arzt bei ihm eine solche Methode angewandt hat, noch, dass diese mit unbekannten Risiken verbunden sein kann, vermag er die Dimension der von ihm vor der Behandlung zu treffenden Abwägungsentscheidung und damit auch die Möglichkeit eines Entscheidungskonflikts nicht zu erkennen.

Die Entscheidung ist zu begrüßen, weil es letztlich konsequent ist, die strengen Anforderungen an die Aufklärung bei der Anwendung sog. Neulandmethoden bei der Frage der hypothetischen Einwilligung zu beachten. Andernfalls liefen die strengen Aufklärungspflichten ins Leere. In der Praxis wird dann aber bei der Anwendung von Neulandmethoden bei Aufklärungsfehlern die Entlastung durch den Hinweis auf eine hypothetische Einwilligung kaum noch möglich sein.

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