Haftung für formale Aufklärungsfehler bei Lebendspende

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Der BGH hatte sich in der Entscheidung vom 29.01.2019 (- VI ZR 495/16 -) mit den haftungsrechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen die formalen Anforderungen der Aufklärung bei einer Lebendspende nach § 8 Abs. 2 Transplantationsgesetz (TPG) auseinanderzusetzen.

Nach § 8 Abs. 2 TPG hat die notwendige Aufklärung des Spenders in Anwesenheit eines weiteren neutralen Arztes stattzufinden. Der Inhalt der Aufklärung und die Einwilligungserklärung des Spenders sind ferner in einer Niederschrift aufzuzeichnen, die von den aufklärenden Personen, dem weiteren Arzt und dem Spender zu unterschreiben ist.

Bei einer Nierenspende war zur Aufklärung der Spenderin dagegen lediglich eine „Checkliste“ geführt worden, die den Anforderungen des § 8 Abs. 2 TPG nicht entsprach. Infolge der Spende entwickelte sich bei der Spenderin ein chronisches Fatigue-Syndrom und eine Niereninsuffizienz. Sie machte im Rahmen einer Schadensersatzklage geltend, dass sie über die möglichen gesundheitlichen Folgen der Spende nicht ausreichend aufgeklärt worden sei. Die behandelnden Ärzte hatten dagegen auch eingewendet, dass die Spenderin auch bei einer formgerechten Aufklärung nach § 8 Abs. 2 TPG in die Spende eingewilligt hätte.

Dieser Argumentation folgte der BGH in der zitierten Entscheidung nicht.

Zwar nahm auch der BGH an, dass ein Verstoß gegen die besonderen Aufklärungsanforderungen nach § 8 Abs. 2 TPG nicht zwangsmäßig zur Unwirksamkeit der Einwilligung in die Spende führe. Bei den unbeachtet gebliebenen Regelungen des § 8 Abs. 2 Satz 3 und 4 TPG handelt es sich nach dem BGH lediglich um Form- und Verfahrensvorschriften, welche die Pflicht des Arztes zur Selbstbestimmungsaufklärung des Spenders nur begleiten. Diese Ansicht war in der rechtswissenschaftlichen Literatur umstritten. Nach dem BGH spricht der Zweck des § 8 Abs. 2 TPG aber eher für einen rein formalen Charakter der Vorschrift. Denn im Hinblick auf die für die ordnungsgemäße Selbstbestimmungsaufklärung darlegungs- und beweisbelastete Behandlungsseite dienen das Schriftformerfordernis und die Anwesenheit des weiteren Arztes primär der Beweissicherung im Interesse des aufklärenden Arztes.

Auch wenn nach dem BGH danach eine Verletzung der verfahrenssichernden Vorschriften des § 8 Abs. 2 Satz 3 bis 5 TPG nicht per se zur Unwirksamkeit der Einwilligung des Spenders in die Organentnahme führt, so sind die Vorgaben auch nade dem BGH von beweisrechtlicher Relevanz, so dass bei Fehlen einer Aufklärungsniederschrift und der Abwesenheit eines neutralen Arztes eine erkennbare Beweisskepsis gegenüber einer ordnungsgemäßen Aufklärung besteht und ein Indiz für das Fehlen einer ausreichenden Aufklärung sein kann. Im Ergebnis bleibt es nach dem BGH zwar auch bei Nichteinhaltung der verfahrenssichernden Vorgaben aus § 8 Abs. 2 TPG im Einzelfall weiterhin möglich, in freier tatrichterlicher Beweiswürdigung die Überzeugung von Durchführung und Inhalt eines Aufklärungsgesprächs zu gewinnen. Das Fehlen eines neutralen Zeugen und einer Niederschrift im Sinne des § 8 Abs. 2 TPG wird jedoch in der Regel als starkes Indiz dafür heranzuziehen sein, dass eine Aufklärung nicht oder jedenfalls nicht in hinreichender Weise stattgefunden hat.

Ferner ist bei einer Verletzung der Vorgaben des § 8 Abs. 2 TPG für den Einwand eines rechtmäßigen Alternativverhaltens (Spenderin hätte bei formal ordnungsggemäßer Aufklärung  in die Spende eingewilligt) kein Raum, weil dies nach dem BGH dem Schutzzweck der erhöhten Aufklärungsanforderungen bei Lebendspenden widerspräche. Die Regelung müssen danach neben der Freiwilligkeit der Spende auch dem  besonderen Charakter der Lebendspende (Konfliktsituation des Spenders, Fehlen eines gesundheitlichen Nutzens, Verlust eines Organs mit möglicherweise weitreichenden Folgen) gerecht werden. Könnte die Behandlungsseite mit dem Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens eine Haftung abwenden, bliebe die rechtswidrige Organentnahme nach dem BGH insoweit sanktionslos und würden die gesonderten Aufklärungsanforderungen des § 8 Abs. 2 TPG unterlaufen. Dies erschütterte nach Ansicht des Gerichts das notwendige Vertrauen potentieller Lebendorganspender in die Transplantationsmedizin, ist doch die Einhaltung der Vorgaben des Transplantationsgesetzes unabdingbare Voraussetzung, wenn um des Lebensschutzes willen die Bereitschaft der Menschen zur Organspende langfristig gefördert werden soll. Hinzukommt nach dem BGH, dass die unzureichende Aufklärung des Spenders über die Chancen und Risiken einer Lebendorganspende nicht nur seine Einwilligung in die Organentnahme unwirksam macht, sondern grundsätzlich auch geeignet ist, die Entscheidung des Organempfängers in Frage zu stellen. Gerade im besonderen persönlichen Näheverhältnis des § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG werden das Risiko für den Spender sowie dessen Verhältnis zu den Genesungschancen des Empfängers typischer Weise auch für die Entscheidung des Empfängers von Bedeutung sein, ob er die Spende des ihm Nahestehenden überhaupt annehmen kann und will. Die Prüfung des rechtmäßigen Alternativverhaltens dürfte sich folglich nicht nur auf die Entscheidung des Spenders beschränken, sondern müsste sich auf die Annahmeentscheidung des Empfängers erstrecken. Die daraus notwendig folgende Verdoppelung der nachträglichen Prüfung einer hypothetischen Willensentscheidung, die vor dem Hintergrund der besonderen Konfliktsituation einer Lebendorganspende schon tatsächlich und ex ante für Dritte nur begrenzt feststellbar ist, ließe die Sicherungsmechanismen des § 8 TPG nach dem BGH ein weiteres Mal leerlaufen.

Die Entscheidung des BGH ist im Ergebnis vertretbar und überzeugend begründet, wirft aber die Frage auf, ob es dem vom Gericht besonders betonten Schutzzweck des § 8 TPG nicht besser gerecht würde, wenn ein Verstoß gegen die formalen Absicherung des Aufklärungserfordernis nicht doch per se zur Unwirksamkeit der Einwilligung des Spenders führt. Denn gerade wenn der BGH die Fremdnützigkeit des Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit und die besondere Konfliktsituation der Spender betont, rückt der Schutz der Autonomie des Spenders in den Mittelpunkt, was auch den wesentlichen Unterschied zum normalen Arzt-Patienten-Verhältnis begründet. Insofern erscheint es etwas inkonsequent, wenn der BGH auf der einen Seite bei der Beurteilung des Aufklärungsfehlers in der normalen Arzthaftungsdogmatik verbleibt, dann aber bzgl. des Einwandes des rechtmäßigen Alternativverhaltens unter Betonung des Schutzzweckes des § 8 Abs. 2 TPG davon eine Abweichung begründet.

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