Verletzung der Mitwirkungspflichten der Krankenkassen im gerichtlichen Verfahren?
0Derzeit diskutieren die Krankenkassen und Krankenhäuser in gerichtlichen Verfahren lebhaft über die Verletzung von Mitwirkungspflichten der Krankenhäuser im Prüfverfahren (z.B. durch nicht Vorlage angeforderter oder offenkundig notwendiger Behandlungsunterlagen) und die Reichweite der Präklusionsvorschriften der PrüfvV im gerichtlichen Verfahren.
Deutlich häufiger ist aber festzustellen, dass sich die gesetzlichen Krankenkassen ist in gerichtlichen Verfahren über Monate nicht äußern und erst nach wiederholten Aufforderungen durch die Sozialgerichte sich zu Übersendung von nichtssagenden Textbausteinen bequemen. Welche Folgen dieses Vorgehen für das sozialgerichtliche Verfahren im Verhältnis zum nach § 103 SGG geltenden Amtsermittlungsprinzip haben kann, war Gegenstand einer aktuellen Entscheidung des SG Augsburg (Gerichtsbescheid vom 21.06.2023 – S 3 KR 387/22 –).
Danach haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach § 103 SGG zwar den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, ohne an das Vorbringen und die Beweisanträge gebunden zu sein. Jedoch sind dabei „die Beteiligten heranzuziehen“. Der Aufklärungspflicht des Gerichts nach § 106 SGG steht dabei die Pflicht der Beteiligten gegenüber, auf die Aufforderungen des Gerichts hin die entsprechenden Angaben zu machen. Der Amtsermittlungsgrundsatz des § 103 SGG entbindet die Beteiligten nicht davon, nach ihren Kräften bei der Sachaufklärung mitzuwirken. Machen die Beteiligten trotz der Aufforderung des Gerichts die zur Aufnahme der gerichtlichen Ermittlungen erforderlichen Angaben nicht, so besteht auch keine weitere Verpflichtung des Gerichts aufgrund von § 103 SGG (BSG, Urteil vom 01.07.2010 – B 13 R 58/09 R –). Die Amtsermittlungspflicht hat nach der Entscheidung des SG Augsburg ihre Grenzen dort, wo der Beteiligte seiner Pflicht zur Angabe der Tatsachen, die den geltend gemachten Anspruch begründen sollen, nicht nachkommt, obwohl er vom Gericht hierzu aufgefordert wird (LSG Hamburg, Urteil vom 30.03.2022 – L 2 U 9/20 –).
Die beklagte Krankenkasse ist nach Ansicht des Gerichts im entschiedenen Fall ihrer Mitwirkungsobliegenheit trotz konkreter Aufforderung unter sehr langer Fristsetzung nicht nachgekommen. Dabei hatte das Gericht unter Hinweis auf § 106a SGG die Krankenkasse aufgefordert, Stellung zu nehmen. Die Krankenkasse hatte mithin fast sechs Monate Zeit sich im Prozess zu äußern. Statt sich dann tatsächlich mit der Rechtssache zu befassen und intern zu prüfen, ob zur Vorlage einer aussagekräftigen Stellungnahme noch Unterlagen eingesehen werden müsste, veranlasste diese erst zwei Wochen vor Ablauf der sechs Monate langen gewährten Frist die Anforderung der Patientenakte, um diese für eine weitere Stellungnahme dem MD vorlegen zu können. Selbst wenn das Gericht die Patientenakte hier bei der Klägerin angefordert hätte, wäre mit einer Übersendungsdauer von mindestens eben dieser Frist zu rechnen gewesen, sodass eine Stellungnahme des MD deutlich außerhalb der gewährten Frist erfolgt wäre. Die Anforderung hätte damit den Rechtstreit deutlich verzögert. Die Verzögerung ist nach Ansicht der Richter in Augsburg ausschließlich der beklagten Krankenkasse anzulasten, der es zuzumuten war, auch bei gewährter Fristverlängerung zu prüfen, ob noch Unterlagen ihrerseits benötigt würden, dies in Kenntnis der gesetzten Frist nach § 106a SGG und auch in Kenntnis von einigen Parallelverfahren zu dieser Rechtsthematik. Der diesbezügliche Einwand der Krankenkasse, dass man schließlich in den anderen Klageverfahren zu dieser Rechtsthematik nicht untätig gewesen sei und man dies auch auf dieses Verfahren zu übertragen habe, geht dabei fehl. Die Krankenkasse verkennt nach Meinung des Gerichts, dass jedes Klageverfahren für sich zu betrachten ist und diese selbst bis zum Tag der Entscheidung dem Gericht gegenüber keine inhaltliche Stellungnahme abgegeben hat. Die Individualität der hier anhängigen Streitsache hat die Krankenkasse auch dadurch deutlich gemacht, indem die konkrete Patientenakte angefordert wurde, um ausschließlich diese dem MD zur nochmaligen Beurteilung vorzulegen.
Die Rechtssache war von Seiten des Gerichts daher ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der vorhandenen Unterlagen, also der Verwaltungsakte sowie der vom Krankenhaus vorgelegten Unterlagen zur Klageerhebung zu bewerten.
Die Entscheidung ist angesichts der teilweise kaum verständlichen Prozessverschleppung der gesetzlichen Krankenkasse zu begrüßen und es bleibt zu hoffen, dass auch andere Sozialgerichte sich an dieser Entscheidung orientieren werden.
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