BSG bestätigt Beweisverwertungsverbot bei Nichteinleitung des Prüfverfahrens

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Das Bundessozialgericht (BSG) hat in einem aktuellen Beschluss vom 10.11.2022 (- B 1 KR 57/22 B -) die Nichtzulassungsbeschwerde einer Krankenkasse zurückgewiesen und klargestellt, dass die Nichteinleitung eines Prüfverfahrens durch die Krankenkasse nach § 275 Abs 1c SGB V in der ab dem 1.1.2016 geltenden Fassung auch bei einer isolierten Prüfung der strukturellen Mindestvoraussetzungen einer Komplexleistung im Streit über die Rückerstattung vorbehaltlos gezahlter Krankenhausvergütung ein Beweisverwertungsverbot bzgl. der vom Krankenhaus nicht herausgegebenen Unterlagen bewirkt. Es gilt ein umfassendes Beweisverwertungsverbot.

Streitgegenständlich war auch in diesem Verfahren die rückwirkende Prüfung der Strukturmerkmale des OPS-Kode 8-550.1 der geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung für zwei Behandlungsfälle aus dem Jahr 2017, für welche die Krankenkasse kein Prüfverfahren eingeleitet hatte. Die Krankenkasse hatte nachträglich, das Fehlen der Anwesenheit bestimmter Berufsgruppen in den Teamprotokollen behauptet und dazu auf die jährlich veröffentlichten Qualitätsberichte des Krankenhauses verwiesen. Entsprechende Verfahren sind noch in ganz Deutschland anhängig.

Das BSG stellt in dem aktuellen Beschluss zunächst noch einmal klar, dass § 275 Abs. 1c SGB V ab dem 01.01.20216 auch Prüfungen der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Krankenhausabrechnung umfasst. Die Anfügung des § 275 Abs. 1c Satz 4 SGB V zum 01.01.2016 hatte zur Folge, dass sich der Anwendungsbereich der PrüfvV ab diesem Zeitpunkt auf sachlich-rechnerische Prüfungen erweitert hat (BSG, Urteil vom 10.11.2021 – B 1 KR 36/20 R –).

Die Ansicht der Krankenkasse, wonach  maßgeblich allein auf die Leistungsentscheidung der Krankenkasse abgestellt werden müsse  ist nach dem BSG unzutreffend. Maßgeblich für das Vorliegen einer dem Anwendungsbereich des § 275 Abs 1c SGB V in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung – und damit auch der PrüfvV  – unterfallenden Abrechnungsprüfung ist danach nicht mehr die Unterscheidung zwischen einer Auffälligkeitsprüfung und einer Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung, sondern allein, ob die jeweilige Prüfung eine Datenerhebung durch den Medizinischen Dienst erfordert (sog. dritte Prüfungsstufe – BSG, Urteil vom 16.5.2012 – B 3 KR 14/11 R –). Dies ist dann der Fall, wenn die Krankenkasse zusätzlich zu den Abrechnungsdaten nach § 301 SGB V und ihren sonstigen Erkenntnissen weitere Unterlagen des Krankenhauses für erforderlich hält, die das Krankenhaus nach § 276 Abs. 2 Satz 2 SGB V auf Anforderung zwar dem MDK übermitteln muss, nicht aber der Krankenkasse (BSG, Urteil vom 22.6.2022 – B 1 KR 19/21 R –).

Soweit die Krankenkasse in diesem Zusammenhang die Ansicht vertritt, dass der MDK eine Prüfung nur anhand der Patientenakten vorgenommen habe und keine Strukturunterlagen vom Krankenhaus angefordert, weist das BSG ergänzend darauf hin, dass eine solche Beschränkung auf Patientenunterlagen weder im Gesetz noch in der PrüfvV eine Stütze findet.

Das BSG hat auch bereits entschieden, dass sich aus dem Gesetz keine Verpflichtung der Krankenkasse zur Einleitung eines Prüfverfahrens ergibt. Hat die Krankenkasse von einem Prüfverfahren abgesehen, besteht jedoch eine auf die Einwände der Krankenkasse beschränkte Ermittlungspflicht des Gerichts. Daran muss das Krankenhaus nicht mitwirken. Die Erhebung und Verwertung derjenigen Daten, die nur im Rahmen des Prüfverfahrens durch den MDK beim Krankenhaus hätten erhoben werden können, ist dem Gericht verwehrt. Es darf seiner Überzeugungsbildung nur die von dem Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot nicht umfassten einschließlich der vom Krankenhaus freiwillig zur Verfügung gestellten Daten zugrunde legen. Der sich aus der berechtigten Verweigerung der Mitwirkung ergebenden Beweisnot des Krankenhauses ist durch Beweiserleichterungen bis zur Umkehr der Beweislast zu begegnen (vgl. BSG, Urteil vom 22.6.2022 – B 1 KR 19/21 R –).

Die von der Krankenkasse in der Nichtzulassungsbeschwerde sinngemäß aufgeworfene Frage ist nach dem BSG höchstrichterlich in dem Sinne entschieden, dass die Nichteinleitung eines Prüfverfahrens durch die KK nach § 275 Abs 1c SGB V aF auch bei einer isolierten Prüfung der strukturellen Mindestvoraussetzungen einer Komplexleistung im Streit über die Rückerstattung vorbehaltlos gezahlter Krankenhausvergütung ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Unterlagen zur Folge hat, deren Herausgabe das Krankenhaus verweigert.

Die Entscheidung ist zu begrüßen, denn sie stellt noch einmal klar, dass die vor Einführung des § 275d SGB V oft postulierte Strukturprüfung keine rechtliche Grundlage hat und auch nicht ein Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1c SGB v aF entbehrlich macht. Die allgemeinen Regelungen zur Beweislast gelten aber auch vor dem 01.01.2016, so dass fraglich erscheint, ob noch eine Mitwirkungspflicht des Krankenhauses angenommen werden kann, wenn die Krankenkasse unter Hinweis auf angeblich fehlende Strukturmerkmale als sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfungen getarnte Strukturprüfungen durchführt. Auch hier müsste ein Beweisverwertungsverbot gelten.

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