Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes in der Arzthaftung

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Der BGH hat in einer Entscheidung vom 08.02.2022 (- VI ZR 409/19 -) noch einmal herausgestellt, dass auch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes nicht allein deshalb nicht ins Gewicht fällt, weil die ärztliche Tätigkeit auf das Wohl des Patienten ausgerichtet sei.

Hintergrund der Entscheidung war eine behandlungsfehlerhaft verspätet durchgeführte Herzkatheteruntersuchung, die zeitnah zum Tod des Patienten geführt hat. Die Berufungsinstanz hatte den Hinterbliebenen aufgrund der Kürze der Behandlung lediglich ein Schmerzensgeld von 2.000,00 € zugebilligt und dazu ausgeführt, dass das Maß des den behandelnden Ärzten vorzuwerfenden Verschuldens bei der Abwägung zur Höhe des Schmerzensgeldes regelmäßig nicht im Vordergrund stehe, so dass allein ein grober Fehler noch nicht schmerzensgelderhöhend sei. Maßgeblich bei der Bemessung des Schmerzensgeldes in Arzthaftungssachen sei nicht die Genugtuungs-, sondern die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes, weil bei einem auch fehlerhaft handelnden Arzt regelmäßig das Bestreben im Vordergrund stehe, dem Patienten zu helfen, und nicht, diesem Schaden zuzufügen.

Dieser Ansicht folgte der BGH allerdings nicht.

Der BGH weist noch einmal daraufhin, dass das Schmerzensgeld rechtlich eine doppelte Funktion hat. Es soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich bieten für diejenigen Schäden, die nicht vermögensrechtlicher Art sind (Ausgleichsfunktion). Es soll aber zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (zur Genugtuungsfunktion – BGH, Beschluss vom 16.09.2016 – VGS 1/16 –).

Dabei steht zwar regelmäßig der Ausgleichsgedanke im Vordergrund. Im Hinblick auf diese Zweckbestimmung des Schmerzensgeldes bildet die Rücksicht auf Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentliche Grundlage bei der Bemessung der billigen Entschädigung. Da das Gesetz jedoch eine billige Entschädigung fordert, kann der Ausgleichszweck nicht allein maßgebend für das Ausmaß der Leistung sein. Das alleinige Abstellen auf den Ausgleichsgedanken ist unmöglich, weil sich immaterielle Schäden nicht und Ausgleichsmöglichkeiten nur beschränkt in Geld ausdrücken lassen. Die Genugtuungsfunktion bringt eine durch den Schadensfall hervorgerufene persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem zum Ausdruck, die es aus der Natur der Sache heraus gebietet, alle Umstände des Falles in den Blick zu nehmen und, sofern sie dem einzelnen Schadensfall sein besonderes Gepräge geben, bei der Bestimmung der Leistung zu berücksichtigen. Zu diesen Umständen gehört auch der Grad des Verschuldens des Schädigers.

Daher kann nach den BGH nicht angenommen werden, dass bei der Bemessung des Schmerzensgeldes in Arzthaftungssachen dem Gesichtspunkt der Genugtuung grundsätzlich keine Bedeutung zukomme. Auch wenn bei der ärztlichen Behandlung das Bestreben der Behandlungsseite im Vordergrund steht, dem Patienten zu helfen und ihn von seinen Beschwerden zu befreien, stellt es unter dem Blickpunkt der Billigkeit einen wesentlichen Unterschied dar, ob dem Arzt grobes  Verschulden zur Last fällt oder ob ihm nur ein geringfügiger Schuldvorwurf trifft. So kann ein dem Arzt aufgrund grober Fahrlässigkeit unterlaufener Behandlungsfehler dem Schadensfall sein besonderes Gepräge geben.

Der BGH weist allerdings auch daraufhin, dass grobe Fahrlässigkeit nicht bereits dann zu bejahen ist, wenn dem Arzt ein grober Behandlungsfehler unterlaufen ist. Ein grober Behandlungsfehler ist weder mit grober Fahrlässigkeit gleichzusetzen noch kommt ihm insoweit eine Indizwirkung zu.

Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes persönliches Verschulden. Vielmehr ist ein solcher Vorwurf nur dann gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich. Damit sind auch Umstände zu berücksichtigen, die die subjektive, personale Seite der Verantwortlichkeit betreffen, und konkrete Feststellungen nicht nur zur objektiven Schwere der Pflichtwidrigkeit, sondern auch zur subjektiven Seite zu treffen.

Demgegenüber kommt es für die Frage, ob ein grober Behandlungsfehler vorliegt, der zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Ursächlichkeit dieses Fehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen kann, auf den Grad subjektiver Vorwerfbarkeit gegenüber dem Arzt nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob dem Arzt ein Fehler unterlaufen ist, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Maßgeblich ist damit nur, ob das ärztliche Verhalten eindeutig gegen gesicherte und bewährte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen verstieß. Denn die Annahme einer Beweislastumkehr nach einem groben Behandlungsfehler ist keine Sanktion für ein besonders schweres Arztverschulden. Sie hat ihren Grund vielmehr darin, dass das Spektrum der für den Misserfolg der ärztlichen Behandlung in Betracht kommenden Ursachen gerade wegen des Gewichts des Behandlungsfehlers und seiner Bedeutung für die Behandlung in besonderem Maße verbreitert und die Aufklärung des Behandlungsgeschehens deshalb in besonderer Weise erschwert worden ist, so dass der Arzt dem Patienten den Kausalitätsbeweis nach Treu und Glauben nicht zumuten kann.

Die Entscheidung ist zu begrüßen. Sie stellt noch einmal klar, dass die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes auch im Arzthaftungsrecht eine Rolle spiele muss und nicht allein die Zielrichtung des ärztlichen Handelns eine „Schranke“ bei der Bemessung des Schmerzensgeldes darstellt. Vielmehr gilt auch hier die Umstände des konkreten Sachverhaltes zu berücksichtigen. Zu begrüßen ist auch, dass der BGH noch einmal die unterschiedlichen Funktionen bzw. Voraussetzungen des groben Behandlungsfehlers und der Annahme eines grob fahrlässigen Verhaltens herausarbeitet, was in der Praxis oft nicht unterschieden wird.

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