Keine Befangenheit bei Überschreitung des Gutachtenauftrags?

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Gerade in gerichtlichen Verfahren um strittige Abrechnungen ärztlicher Honorare nach der GOÄ zeigt sich leider nach wie vor eine bedenkliche Tendenz medizinischer Sachverständige den eigentlich Streitstoff zu ignorieren und oft die gesamte Abrechnung einer Überprüfung zu unterziehen, auch wenn nur wenige GOÄ-Ziffern zwischen den Parteien umstritten sind. Diese Tendenz wird leider oft durch die Gerichte unterstützt, die völlig grenzenlose Beweisbeschlüsse ohne konkreten Beweisfragen erlassen und damit letztlich die Entscheidung des Rechtsstreits vollständig auf den medizinischen Sachverständigen delegieren.

Die Überschreitung des Beweisbeschluss birgt aber auch für den medizinischen Sachverständigen die Problematik, dass damit regelmäßig Diskussionen um die mögliche Befangenheit des Sachverständigen ausgelöst werden, die ggf. auch zu einem vollständigen Verlust des Honoraranspruches des gerichtlichen Sachverständigen führen können (vgl. § 8a JVEG).

Nach der Rechtsprechung kann ein Sachverständiger abgelehnt werden, wenn hinreichende Gründe dafür vorliegen, die vom Standpunkt einer vernünftigen Partei aus geeignet sind, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu wecken. Unerheblich ist es, ob der gerichtlich beauftragte Sachverständige tatsächlich parteilich ist oder ob das Gericht Zweifel an der Unparteilichkeit hegt. Entscheidend ist allein, ob für die das Ablehnungsgesuch stellende Partei der Anschein einer nicht vollständigen Unvoreingenommenheit und Objektivität besteht. Als Gründe für eine Ablehnung kommen demnach insbesondere persönliche oder wirtschaftliche Beziehungen zu einer Partei, die frühere Tätigkeit des Sachverständigen in derselben oder einer gleich- bzw. ähnlich gelagerten Angelegenheit und schließlich das eigene Verhalten bei der Durchführung der Begutachtung in Frage. Mehrere Gründe, die für sich gesehen nicht genügen, um die Annahme einer Befangenheit nach § 42 Abs. 2 ZPO zu rechtfertigen, können bei einer Gesamtschau ausreichen.

Die Befürchtung fehlender Unparteilichkeit kann dabei insbesondere berechtigt sein, wenn der Sachverständige den Gutachtenauftrag in einer Weise erledigt, die als Ausdruck einer unsachlichen Grundhaltung gegenüber einer Partei gedeutet werden kann. Eine solche unsachliche Grundhaltung kann sich daraus ergeben, dass der Gutachter Maßnahmen ergreift, die von seinem Gutachtenauftrag nicht gedeckt sind. Demnach können Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen dort entstehen, wo der Sachverständige bei der Gutachtenerstellung eigenmächtig über die ihm durch den Beweisbeschluss und den Gutachtenauftrag gezogenen Grenzen hinausgeht und den Prozessbeteiligten in unzulässiger Weise den von ihm für richtig gehaltenen Weg zur Entscheidung des Rechtsstreits weist. Ein solches Misstrauen kann sich nach der Rechtsprechung auch aus dem Umgang des Sachverständigen mit dem Prozessstoff und dem daraus vom Gericht abgeleiteten Gutachtensauftrag ergeben, wenn der Sachverständige gegen richterliche Weisungen verstößt, seine Befugnisse überschreitet, vom Beweisbeschluss abweicht oder Beweisthemen umformuliert und substantiierten Vortrag einer Partei gänzlich unberücksichtigt lässt.

Allerdings rechtfertigt nicht jede Überschreitung dieser Grenzen durch den Sachverständigen bereits die Besorgnis der Befangenheit, denn ein verfahrensfehlerhaftes Vorgehen des Sachverständigen ist nicht notwendigerweise mit der Besorgnis der Befangenheit gleichzusetzen. Eine Entscheidung hierüber ist vielmehr nach Lage des Einzelfalles zu treffen. Ob die Überschreitung eines Gutachterauftrags geeignet ist, bei einer Partei bei vernünftiger Betrachtung die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen hervorzurufen, ist einer schematischen Betrachtungsweise nicht zugänglich (BGH, Beschluss vom 11.04.2013 – VII ZB 32/12 –).

Diese gebotene Einzelfallbetrachtung führt zu teilweise kuriosen Ergebnissen.

So hat in einer aktuellen Entscheidung des LG Memmingen vom 20.06.2022 (- 44 T 550/22 -) das Gericht die Befangenheit eines gerichtlichen Sachverständigen verneint, der zur Frage einer Analogie nach § 6 Abs. 2 GOÄ die Beweisfrage des Gerichts umformuliert hatte und lediglich die von ihm als „gerecht und richtig“ empfundene Frage mit weitschweifigen Ausführungen zu den aktuellen Defiziten der GOÄ und einer „gerechten Vergütung“ sowie der „Gefahr einer Übermaßvergütung“ beantwortet hatte. Allerdings selbst diese Anmaßung, die natürlich zulasten einer Partei ging, reichte nicht aus, die Befangenheit des Sachverständigen zu begründen. Denn nach Ansicht des LG Memmingen führte selbst die Umformulierung der Beweisbeschlusses durch den Sachverständigen sowie nicht zum Gutachtenauftrag gehörende rechtspolitische Ausführungen nicht zu einer Überschreitung des Gutachten, weil es letztlich Sache des Gerichts sei, zu entscheiden, welche Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen entscheidungserheblich seien.

Diese absurde Entscheidung dokumentiert sehr deutlich eine bedenkliche Tendenz der Gerichte, die Befangenheit eines gerichtlichen Sachverständigen bei Überschreitung des Gutachtenauftrags nur in eng begrenzten Ausnahmefällen anzunehmen. Dabei ist es natürlich schlicht nicht begründbar, wenn eine Befangenheitsrüge schon daran scheitern soll, dass letztlich das Gericht das Gutachten im Rahmen der Beweiswürdigung neutral zu bewerten hat. Dies hat mit der Annahme der Befangenheit aus Sicht der betroffenen Partei nichts zu tun und ist sicherlich kein Umstand, welche die Umformulierung der Beweisfrage durch einen medizinischen Sachverständigen rechtfertigen kann.

Dieser bedauerlichen Tendenz ist in der Praxis nur dadurch zu begegnen, schon bei der Formulierung der Beweisfragen auf die Gefahr einer Überschreitung des Gutachtenauftrags hinzuweisen und daher auf eine möglichst konkrete Fassung der Beweisfragen durch das Gericht zu drängen.

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